Gesprächsrunde mit Friedensnobelpreisträgerin Prof. Dr. Irina Scherbakowa
„Wird Putin nicht gestoppt, von einem starken Europa, von starken Institutionen, wird er keinen Halt machen“, sagte Friedensnobelpreisträgerin Prof. Dr. Irina Scherbakowa am Montag in Oranienburg. Sie berichtete den rund 90 Gästen eindrücklich, welchen Repressionen die von ihr mitgegründete Menschenrechtsorganisation „Memorial“ oder internationale NGOs sowie Oppositionelle in Russland ausgesetzt sind. Die Ukraine müsse mit ganzer Kraft weiter unterstützt werden. Auch an der russischen Bevölkerung würde der Krieg nicht spurlos vorbeigehen. Recherchen zeigen ihrer Einschätzung nach eine zunehmende Kriegsmüdigkeit bei Russinnen und Russen. Rund die Hälfte der Bevölkerung würde den Krieg mittlerweile ablehnen. Vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen im kommenden Jahr in Brandenburg und Europa appellierte die Historikerin an die Anwesenden, verantwortungsvoll mit demokratischen Werten umzugehen: „Meine Hoffnung ist, dass die Menschen begreifen, wie wichtig demokratische Institutionen sind.“
Eingeladen zum Austausch hatten die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und der Landtagsabgeordnete Björn Lüttmann unter dem Motto „Die russische Gesellschaft und der Krieg – ein Blick von außen“. Frau Scherbakowa, die geflohene Museumskuratorin Vera Yarilina und Alexey Yusupov, der für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Russland arbeitete, berichteten von ihren noch bestehenden Kontakten nach Russland und davon, welchen Einfluss der russische Angriffskrieg in der Ukraine auf die Menschen in Russland hat.
Vera Yarilina berichtete von der Flucht ihrer Familie nach Deutschland und davon, wie Bekannte in Russland den Krieg in der Ukraine erleben, aber auch, wie die russische Propaganda Kriegsskeptiker zu Unterstützern werden ließ. Das neue Leben in Deutschland sei zunächst schwierig gewesen, da die russische Gesellschaft keine demokratischen Elemente mehr habe. Erst in Deutschland sei ihr bewusst geworden, wie wenig selbstbestimmt das Leben in Russland war, wie wenig Mitsprache und Gestaltungsfreiheit die Menschen dort im Alltag haben.
Alexey Yusupov machte darauf aufmerksam, dass es noch immer engagierte Menschen in verschiedenen Organisationen gäbe, die sich gegen das Regime in Russland stellen. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die russische Bevölkerung schon viele Jahre einer Entpolitisierung unterworfen ist. Die russische Gesellschaft habe keine politische Gestaltungsmacht, kein Mitspracherecht, wodurch politische Teilhabe ausgeschlossen sei.
Björn Lüttmann resümierte am Ende der Veranstaltung, dass es eine neue Ostpolitik braucht. Politikerinnen und Politiker haben sich über viele Jahre blenden lassen und seien vielleicht auch zu naiv gewesen. Die Annahme, eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland könne zur Demokratisierung in Russland führen, sei falsch gewesen. Vielmehr sei eine Abhängigkeit von Russland entstanden, die es nun mühevoll zu überwinden gilt. Der Umstand, dass in einigen europäischen Ländern rechtsextreme Parteien bereits Regierungsverantwortung haben, spiele jedoch eher dem russisch-diktatorischen Regime in die Hände. Der Blick in die russische Gesellschaft zeige, wohin solche Entwicklungen führen können.
Der einfachste Weg sich für eine stabile Demokratie einzusetzen, so Lüttmann, ist selbst mitzubestimmen und Verantwortung zu übernehmen. Jeder und jede kann selbst mitmachen und sich zur Wahl stellen, zum Beispiel bei der anstehenden Kommunalwahl.